Rotkreuz-Freiwillige investieren durchschnittlich einen Monat Arbeitszeit pro Jahr
90 Personen nahmen an der diesjährigen Generalversammlung des Schweizerischen Roten Kreuzes Kanton Aargau (SRK Kanton Aargau) in Wohlen teil. Präsident Hans Rösch sagte in seiner Begrüssung, der Jahresbericht 2023 sei bewusst einfach, kurz und übersichtlich verfasst. Man spare sich die Kosten für einen umfangreichen Hochglanzbericht.
Was hat das SRK Kanton Aargau mit seinen 51 000 Mitgliedern letztes Jahr denn gemacht? Im Einsatz waren rund 960 Freiwillige und 130 Mitarbeitende. Geschäftsführerin Regula Kiechle ging auf einige eindrückliche Zahlen ein (der Jahresbericht ist online abruf- und einsehbar).
Das SRK Kanton Aargau hat 650 freiwillige Fahrerinnen und Fahrer, die den Fahrdienst bewältigen und viele immobile Personen (zum Beispiel ins Spital zur Dialyse und wieder nach Hause) transportieren. Sie legten letztes Jahr in 118 000 Fahrten 2,45 Millionen Kilometer zurück. Diese Leistungen wurden zugunsten von 6244 Kundinnen und Kunden erbracht.
Einige weitere Daten: Letztes Jahr wurden bei Kursen 1609 Teilnehmende ausgebildet. Das hochdefizitäre Tageszentrum Aarau hatte Kiechle einst eigentlich schliessen wollen, sagte sie in Wohlen. Als sie aber einst ein erstes Mal besuchte, habe sie aber sogleich gewusst, dass das nicht geht, sagte Kiechle weiter. Inzwischen hat das SRK Kanton Aargau einen Leistungsauftrag des Kantons. Letztes Jahr gab es zudem über 3300 Einsätze von Betreuerinnen beim Entlastungsdienst zu Hause.
200 Freiwillige beim Jugendrotkreuz
Beim Jugendrotkreuz Kanton Aargau engagieren sich rund 200 Freiwillige im Generationenaustausch in Altersheimen, unterstützen junge Geflüchtete bei der Lehrstellensuche, geben benachteiligten Kindern Nachhilfe, veranstalten Sportanlässe für Menschen mit Fluchthintergrund und begleiten fremdsprachige Kinder und Jugendliche.
Mitgliederbeitrag steigt auf 45 Franken
Der Jahresbeitrag für Passivmitglieder beträgt beim SRK Kanton Aargau seit fünf Jahren 30 Franken. Viele andere Verbände im Aargau, auch andere Kantonalverbände des Roten Kreuzes hätten höhere Beiträge, sagte Präsident Rösch zu einem gewichtigen Traktandum des Abends. Deshalb beantrage der Vorstand, diesen um 50 Prozent auf 45 Franken zu erhöhen. Daraus sollen rund 100 000 bis 150 000 Franken Zusatzeinnahmen resultieren, um wieder auf eine ausgeglichene Rechnung zu kommen.
Diese Erhöhung hätte gewiss in einer nichtkaritativen Organisation grosse Diskussionen ausgelöst. Nicht aber beim Aargauer Roten Kreuz. Die Anwesenden genehmigten die Erhöhung diskussionslos und einstimmig. Leicht angehoben wird auch der Mindestbeitrag für Kollektivmitglieder.
Geschäftsführerin Regula Kiechle sagte, man wolle vorausdenken, welches die Herausforderungen und Bedürfnisse in der Gesellschaft von morgen sind. Dabei gelte es, den Spagat zwischen den zu erbringenden Leistungen und der Finanzierung zu finden.
Kinder und Familien in Armut, pflegende Angehörige seien grosse Themen, Einsamkeit gar die Epidemie der Gegenwart und der Zukunft. Diese Menschen erreiche man zuhause immer noch zu wenig. Hier wolle man ansetzen, sagte sie (mehr dazu weiter unten im Artikel).
Wöchnerinnen werden heute nach zwei, drei Tagen nach Hause geschickt – und dann?
Früher wurde eine Wöchnerin nach der Geburt ihres Kindes 7 bis 10 Tage im Spital betreut, heute werde sie nach zwei, drei Tagen nach Hause geschickt, sagte Kiechle weiter. Auch daraus ergäben sich mannigfaltige Probleme, zum Beispiel wenn jemand ein Schreibaby hat oder die Mutter einen Milchstau, das Kind krank ist, die Eltern nachts wach hält, wenn die Mutter Wochenbettdepressionen hat oder anderes mehr. Solchen jungen Eltern helfe man mit dem Angebot «Starthilfe Elternzeit», so Kiechle weiter.
SRK Kanton Aargau hofft auf Leistungsaufträge des Kantons
Man «buhle» beim Kanton um Leistungsaufträge. Dazu müsse man aber erst helfen und sich mit einem Angebot einen Namen verschaffen. Kiechle: «Wir sind bester Hoffnung für solche Verhandlungen.» Zumal wohl niemand seine Dienstleistungen so günstig und qualitativ hoch erbringe wie das SRK Kanton Aargau.
Vizepräsident Daniel Knechtli stellte anschliessend die Jahresrechnung vor. Das SRK Kanton Aargau nahm aus Dienstleistungen und Mittelbeschaffung (vorab Spenden) 11 Millionen Franken ein, rund eine halbe Million weniger ein als im Jahr davor. Hauptgründe seien weniger Spenden und weniger Subventionen. Demgegenüber stieg der Personalaufwand, wenn auch weniger als budgetiert.
Betriebsergebnis 2023 negativ, auch für dieses Jahr
Das Betriebsergebnis fiel um 957000 Franken negativ aus, für 2024 soll es gar ein Minus von 1,7 Millionen Franken geben. Die Aktiven schwanden denn auch leicht von 15,09 auf 14,84 Millionen Franken. Es sei ihnen im Vorstand bewusst, so Knechtli weiter, dass man Wege finden muss, um das Betriebsergebnis wieder ausgeglichen zu gestalten. Eine der Massnahmen ist die Erhöhung des Mitgliederbeitrages (vgl. oben).
Erfreulicherweise erbringen die freiwilligen Helferinnen und Helfer grosse Arbeit. Im Durchschnitt seien dies 176 Stunden, also praktisch eine Monatsarbeitszeit. Man sei denn auch sehr gut aufgestellt.
Immer mehr Menschen fühlen sich in der Gesellschaft einsam
Das Thema Einsamkeit werde die Gesellschaft künftig intensiv beschäftigen, betonte Präsident Rösch. Man wolle sich diesem künftig intensiv annehmen. Das Rote Kreuz wolle weiterhin eine wichtige Funktion im sozialen Leben des Kantons Aargau wahrnehmen.
Im Geschäftsbericht wird dazu ausgeführt, dass Studien belegen, dass Einsamkeit und soziale Isolation nicht nur Auswirkungen auf unsere Psyche haben, sondern auch auf den Körper. Immer mehr Menschen fühlen sich in der Gesellschaft einsam. Das Aargauer Rote Kreuz schaffe Möglichkeiten für gesellschaftliche Integration und bietet Raum für Diskurs.
Einsamkeit betrifft viele Menschen. Dennoch scheine sie in unserer Gesellschaft ein Tabuthema zu sein, heisst es dazu weiter. Doch darüber zu reden, sei ein erster wichtiger Schritt für einen gesunden Umgang mit diesem Gefühl. Prof. Dr. André Fringer doziert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und ist Pflege- und Gesundheitswissenschaftler. Er sagt: «Um der Einsamkeit und sozialer Isolation professionell begegnen zu können, ist es notwendig, dass Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen diese wahrnehmen.» Genau dort will das Aargauer Rote Kreuz ansetzen. Und mit verschiedenen Hilfsangeboten, Informationsanlässen und der Möglichkeit des freiwilligen Engagements Wege schaffen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.
Dabei spiele die Beziehungsarbeit eine entscheidende Rolle, wie Fringer im Jahresbericht weiter zitiert wird: «Das Aargauer Rote Kreuz hat über viele Wege mit Einsamkeitsbetroffenen zu tun. Wichtig bei der Wahrnehmung ist die Beziehungsaufnahme und -pflege, um zusammen mit den Betroffenen die Tragweite zu erfassen. Sensibilisierung und Teamarbeit sind dabei zentral.