Ruth Müri: Wahlkampf darf nicht auf Kosten der Kinder mit Förderbedarf gehen
Im Herbst finden im Aargau Gesamterneuerungswahlen statt. Im Regierungsrat treten vier Bisherige wieder an, Bildungsdirektor Alex Hürzeler (SVP) jedoch nicht mehr. Sollten die vier Bisherigen ihre Departemente behalten - und bestätigt werden -, wovon viele Beobachter ausgehen, ist im Herbst vorab das Bildungsdepartement (BKS) zu vergeben.
Um den frei werdenden zweiten SVP-Sitz (den andern hält Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati) ringt seitens der SVP Nationalrätin Martina Bircher, seitens der Grünen Grossrätin Ruth Müri und seitens der Grünliberalen Nationalrat Beat Flach.
Das ist auch der Grund, warum sich die Kandidierenden gern zu Bildungsfragen äussern. Heute hat Ruth Müri (sie ist Bildungspolitikerin) ihre Position in einer Mitteilung dargelegt.
Die aktuelle Herausforderung an unseren Schulen, einschliesslich des Lehrpersonenmangels, sei nicht zuletzt auch eine Folge der Sparpolitik in der Bildung, die in den letzten zehn Jahren von SVP und FDP im Aargau verfolgt worden sei, schreibt sie darin. Diese Einsparungen hätten dazu beigetragen, "dass die Ressourcen an unseren Schulen heute sehr knapp sind und der Schulbetrieb leidet".
"Separierung ist nicht die Antwort auf bestehende Probleme"
Die Separierung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf sei nicht die Antwort auf die bestehenden Probleme, so Müri: "Im Gegenteil: Eine solche Politik verschlechtert die Bildungschancen dieser Kinder, ist kostenintensiver und löst das Problem des Lehrpersonenmangels nicht. Zudem fördert sie die Polarisierung in unserer Gesellschaft, anstatt den sozialen Zusammenhalt zu stärken."
Die Volksschule ist der einzige Abschnitt im Lebensweg eines Menschen, in dem nahezu alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem sozioökonomischen Hintergrund, ein Stück des Weges gemeinsam gehen. In der Volksschule lernen Kinder andere Nationen und Kulturen kennen und haben die Möglichkeit, Freundschaften über gesellschaftliche Grenzen hinweg zu schliessen. Diese Erfahrung lege eine wichtige Grundlage für das Funktionieren unserer Gesellschaft und unserer Demokratie, so Müri weiter.
Studien zeigten, dass integrativ beschulte Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf höhere Schul- und Berufsabschlüsse erreichen und seltener Wechsel oder Abbrüche in ihrer Ausbildung erleben. Sie verfügten über ein besseres Selbstwertgefühl und ein breiteres soziales Netzwerk als separativ beschulten Kinder und Jugendliche. Das wiederum schränke das Armutsrisiko durch eine verbesserte Teilhabe in der Arbeitswelt und an der Gesellschaft ein.
"Integration verhindert langfristige Sozialkosten"
Integration verbessere die Ausgangslage von Kindern mit Förderbedarf und verhindere so langfristige Sozialkosten. Solange nicht zu viele Kinder mit Förderbedarf in einer Klasse integrativ beschult werden (15 – 20 %, also etwas 3 Kinder mit Förderbedarf), werde die Entwicklung der Mitschülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt, schreibt Müri.
Die aktuellen Probleme müssen ernst genommen werden, verlangt sie. Um Integration erfolgreich zu gestalten, "brauchen wir gut ausgebildete schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sowie Lehrpersonen, die durch spezifische Weiterbildungen unterstützt werden". Die Schulen müssten gestärkt, kurzfristige Entlastungsmassnahmen eingeführt und genügend Plätze für Kinder mit ausgewiesenem Sonderschulbedarf geschaffen werden.
Nicht alle können gleich gut selbstorientiert arbeiten
Guter Unterricht gehe auf die Heterogenität der Kinder und Jugendlichen ein. Anleitung und selbstorganisiertes Lernen widersprechen sich nicht respsktive es brauche beides. Nicht alle Kinder und Jugendliche brauchen gleich viel Anleitung oder können gleich gut selbstorientiert arbeiten. Zu wenig Anleitung könne überfordern, zu viel Anleitung könne langweilen und die Kreativität einschränken. Beides führe dazu, so Müri, "dass Kinder die natürliche Neugierde und Freude am Lernen verlieren. Deshalb brauche es sowohl gemeinsame Anleitungen wie auch individualisierte Unterrichtssequenzen, um allen Kindern gerecht zu werden".
Müris Forderungen in Kürze:
"Frühe Förderung umsetzen: Vorschulische Unterstützung von Kindern in ihren Sprach- und Sozialkompetenzen. Dies fördert die Chancengerechtigkeit, entlastet die Schulen und spart längerfristig Kosten.
Lehrpersonen- und Fachpersonenmangel gezielt angehen: Attraktive Studiengänge für Maturandinnen und Maturanden sowie für Absolventinnen und Absolventen einer Fach- oder Berufsmatur schaffen, damit genügend junge Menschen den Lehrberuf ergreifen. Mit Mentoring-Programme beim Berufseinstieg wird verhindert, dass Lehrpersonen früh wieder aus dem Beruf aussteigen.
Schulen entlasten: bestehende Modelle, die keine dauerhafte Ausgrenzung bewirken, wie z.B. temporäre Lerninseln oder arbeiten in Lerngruppen bekannter machen und weiterentwickeln sowie die sonderpädagogische Beratung der Schulen vor Ort verstärken."
Müri fordert eine faktenbasierte und sachliche Diskussion sowie ausreichend Ressourcen für die Volksschule. Wahlkampf dürfe nicht auf Kosten der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft gehen – Kinder mit Förderbedarf. Langjährige Entwicklungsarbeit der Schulen dürfe nicht vernichtet werden. Der Gestaltungsspielraum der Schulen vor Ort sei wertvoll und soll nicht weiter eingeschränkt werden.
Mitgliederversammlung heute Abend mit SP-Regierungsrat Dieter Egli
Die Aargauer Grünen treffen sich heute Dienstagabend in Lenzburg zur Mitgliederversammlung. Dabei werden die Parolen zur Biodiversitätsinitiative und zur BVG-Reform getroffen. Das Ja zur Initiative und das Nein zur BVG-Reform sind klar absehbar, womöglich gar in beiden Fällen einstimmig. Heute Abend werden wir mehr wissen.
Daneben geht es um die Kampagne für die Grossratswahlen und es treten die grüne Kandidatin Ruth Müri sowie der SP-Regierungsrat und Landstatthalter Dieter Egli auf. Die SP unterstützt Müri bekanntlich.