Long Covid: Welche Strategien und Massnahmen sieht die Regierung?
In einer neuen im Grossen Rat eingereichten Interpellation stellen Lelia Hunziker, SP, Aarau (Sprecherin), Barbara Stocker Kalberer, SP, Strengelbach, Dr. Lucia Engeli, SP, Unterentfelden, Béa Bieber, GLP, Rheinfelden, dem Regierungsrat zahlreiche Fragen zu Long Covid im Kanton Aargau. Sie wollen wissen, was die Strategien und Massnahmen sind.
Long Covid bezeichnet ein komplexes Krankheitsbild mit Symptomen, die länger als drei Monate nach einer Covid-19-Erkrankung bestehen bleiben und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können. Die meisten Symptome beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit im Alltag. Die Symptome können unterschiedlich stark sein und sich über die Zeit verändern oder wiederkehren. Die Symptome sind sehr heterogen und umfassen starke Müdigkeit, Erschöpfung und Belastungsintoleranz, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. So heisst es einleitend in der Interpellation.
Daneben können weitere Symptome auftreten wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Husten, Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Schlaf- und Angststörungen, rasche Muskelermüdung und Muskelschmerzen, Schmerzen in der Brust und Hautausschläge. Es wird ein Zusammenhang mit Myalgischer Encephalomyelitis (ME) und chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS) postuliert im Sinne einer postinfektiösen Erkrankung.
Aktivitätsfenster sind oft von sehr kurzer Dauer
Die Aktivitätsfenster sind oft von sehr kurzer Dauer und reichen in vielen Fällen nicht dafür aus, den Alltag in einem normalen Rahmen zu bewältigen. Es ist mittlerweile bekannt, dass die Krankheit mit einem Konzept wie Aufbautraining zu Überforderung führt und die Krankheit eher verschlechtert. Ausserdem gibt es keine ursächliche Behandlung, sodass oft nur ein multimodales Therapieprogramm etwas Linderung schaffen kann.
Bei Kindern und Jugendlichen im Schulalter werden die Lehrpersonen vor zusätzliche Probleme gestellt. Lange Absenzen, die Unmöglichkeit, Hausaufgaben zu erledigen oder für Prüfungen zu lernen, führen nicht selten zu einem kompletten Ausstieg aus dem Schulalltag und - im schlechtesten Fall - zu verlorenen Jahren. Studien weisen darauf hin, dass die Langzeitfolgen von Covid-19 nicht nur die individuelle Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen, sondern auch das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft belasten könnten.
Allein in der Schweiz bis 300 000 Personen betroffen?
Die WHO schätzt auf 3.5 % Prävalenz, es handelt sich also um bis zu 300’000 Personen in der Schweiz. (1)“Die Krankheit ‘Long Covid’ tritt damit häufiger auf als Multiple Sklerose. Zwei Drittel der Patientinnen sind Frauen, am häufigsten beginnt die Erkrankung im Jugendalter oder Mitte dreissig.”
Der Vorstoss 21.77 von Béa Bieber “Umgang des Kantons Aargau mit der medizinischen Nachbetreuung von Long Covid-Patientinnen und -Patienten” zeigte bereits 2021 auf, dass es sowohl auf kantonaler wie auch auf nationaler Ebene erhebliche Wissenslücken und Versorgungsdefizite bei der Erkennung und Behandlung von Long Covid gebe, heisst es im Vorstoss weiter. Wichtige Fragen zur systematischen Erfassung von Long Covid-Fällen, zur Förderung interdisziplinärer Behandlungsangebote sowie zur langfristigen gesundheitspolitischen Strategie blieben seither unbeantwortet.
Debatte auch auf nationaler Ebene
Ein aktueller Vorstoss im Nationalrat von Lorenz Hess führe diese Diskussion weiter und beleuchtet den dringenden Handlungsbedarf auf nationaler Ebene. Er fordert, eine nationale Strategie und einen Massnahmenplan für ME/CFS und Long Covid zu erarbeiten. Dabei sollen alle relevanten Akteure eingebunden werden. Ausserdem bräuchte es eine bessere Infrastruktur, eine gezielte Aufklärung der Grundversorgerinnen und Grundversorger sowie eine verstärkte Sensibilisierung der Gesellschaft, insbesondere in Schulen. Im Kanton Aargau seien vergleichbare Probleme sichtbar: Eine einheitliche Strategie fehle und die Versorgungslage für Long Covid-Betroffene ist unzureichend.
Obwohl einige Long Covid-Sprechstunden etabliert wurden, heisst es weiter, sei der Zugang zu umfassenden Therapien nicht gewährleistet. Gleichzeitig tragen Betroffene oft die Last, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Kinderärztinnen und Kinderärzte, Hausärztinnen und Hausärzte oder Schulen selbst über Long Covid aufklären zu müssen. Auch sind die Diagnose und der Umgang damit viel zu wenig bekannt. Vor diesem Hintergrund sei es dringend notwendig, das Thema ‘Long Covid’ im Kanton Aargau stärker in den Fokus zu rücken.
Ziel müsse es sein, die Versorgung von Betroffenen zu verbessern, Wissen über die Krankheit zu fördern und eine Grundlage für zukünftige gesundheitspolitische Entscheidungen zu schaffen.
1. Kompetenzzentrum Long Covid: Plant der Kanton Aargau die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Long Covid-Patientinnen und Patienten? Gibt es Überlegungen, gemeinsam mit Nachbarkantonen ein solches Zentrum zu etablieren, um die gesundheitliche Versorgung zu verbessern und Ressourcen zu bündeln?
2. Kann der Regierungsrat eine Strategie entwickeln, um Hausärztinnen und Hausärzte gezielt über Long Covid und aktuelle Behandlungsansätze zu informieren, damit diese die Patientinnen und Patienten umfassender unterstützen können?
3. Sensibilisierung: Werden Öffentlichkeit und Schulen im Kanton Aargau über Long Covid und deren mögliche Auswirkungen informiert? Plant der Regierungsrat eine solche Sensibilisierungsaktion?
4. Kann der Kanton Aargau eine Leitlinie für Schulen und Arbeitgebende entwickeln, wie diese mit betroffenen schulpflichtigen Kindern, Jugendlichen und Arbeitnehmenden umgehen sollen?
5. Wie kann der Zugang zu Bildung an Volks- und Mittelschulen sichergestellt werden, für Schülerinnen und Schüler, die krankheitsbedingt zuhause bleiben müssen und deshalb nicht am Unterricht teilnehmen können?
6. Kantonales Long Covid-Register: Ist der Regierungsrat bereit, ein kantonales Register einzuführen, um die Anzahl der Long Covid-Fälle systematisch zu erfassen und somit eine fundierte Grundlage für die Ressourcenplanung und Versorgung zu schaffen?
7. Eine kantonale Koordinationsstelle könnte für Betroffene eine hilfreiche Anlaufstelle sein, insbesondere auch zur adäquaten Unterstützung durch die Sozialversicherungen und deren Gutachter. Plant der Regierungsrat die Schaffung einer solchen Stelle?