Kritik an ungenügender SBB-Pflege der Flächen entlang der Bahn - wie reagiert der Aargau?
In einer Interpellation legten mehrere Grossrätinnen und Grossräte aus fünf verschiedenen Parteien ihren Ärger "über ungenügende SBB-Pflege der Flächen entlang der Bahn" dar. Es sind dies Martin Brügger, SP, Brugg (Sprecher), Colette Basler, SP, Zeihen, Walter Stierli, SVP, Fischbach-Göslikon, Matthias Betsche, GLP, Möriken-Wildegg, Ralf Bucher, Mitte, Mühlau, Gabi Lauper Richner, SP, Niederlenz, Daniel Mosimann, SP, Lenzburg, Isabelle Schmid, Grüne, Tegerfelden, Michael Wacker, SP, Zofingen.
Aus den Medien gehe hervor, antwortet der Regierungsrat jetzt, "dass die SBB an vielen Orten nur noch einmal pro Jahr mäht, was zur Verbreitung invasiver Pflanzen auf den betroffenen Grundstücken und deren Ausbreitung auf Nachbarparzellen führt". Viele Bahnböschungen seied für die Natur besonders wertvoll und stehen unter kommunalem, kantonalem oder gar nationalem Schutz.
"Diese Gebiete erfordern richtige Pflegeeinsätze"
Diese Gebiete erfordern richtige Pflegeeinsätze, um die Biodiversität zu erhalten. Eine unzureichende Pflege führt zur Ausbreitung von Neophyten, was sowohl die Biodiversität als auch landwirtschaftliche Produktionsflächen beeinträchtigt. Angesichts der vielen Kilometer Transitachsen der SBB im Kanton Aargau sei eine Verschlechterung der Pflegepraxis besonders problematisch, so die Regierung weiter.
Das sagt die SBB auf Nachfrage der Regierung - betrifft es "nur" 2024?
Die kantonalen Fachstellen hätten von der reduzierten Pflege-Praxis der SBB aus den Medien erfahren, schreibt sie. Eine aktive Kommunikation seitens SBB habe nicht stattgefunden. Erst auf Nachfrage der zuständigen Fachstellen der kantonalen Verwaltung Ende Mai 2024 haben die SBB die Rückmeldung gegeben, dass aufgrund fehlender finanzieller Mittel für den Substanzerhalt, die Verfügbarkeit und die Sicherheit der Bahnanlagen im Jahr 2024 auf a) die Bekämpfung von Neophyten ausserhalb der Trockenwiesen und Trockenweiden (TWW) und b) auf einen zweiten Mähschnitt in den Biodiversitätsflächen verzichtet werden muss. Der Grund für den Massnahmenverzicht sei eine einmalige Kürzung des Budgets, welche nur das Jahr 2024 betreffen soll.
Fokus auf Bekämpfung der Neophyten
Gemäss aktueller Leistungsvereinbarung zwischen dem Bundesamt für Verkehr (BAV) und den Bahnen wird, heisst es in der Antwort der Regierung weiter, von den Bahnunternehmen ein naturnaher Unterhalt auf 20 % der Bahnbegleitflächen gefordert. Der Fokus liege dabei auf dem einmaligen oder zweimaligen Schnitt der Grünflächen sowie auf der Bekämpfung der Neophyten.
Ergänzend hält die "Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten" des Bundes von 2016 fest, dass die Unterhaltsdienste für Bahn-, Strassen- und Gewässerunterhaltsarbeiten sowie für die übrigen Infrastrukturanlagen bei der Planung und Durchführung von Unterhaltsarbeiten (beispielsweise Böschungs- und Grünflächenunterhalt) sicherstellen, dass die Ansiedlung und Weiterausbreitung von invasiven gebietsfremden Arten verhindert wird.
Separate Vereinbarung zwischen der SBB und dem Kanton Aargau
Gemäss separater Vereinbarung zwischen der SBB und dem Kanton Aargau, zählen die SBB-Flächen innerhalb der Naturschutzgebiete von kantonaler Bedeutung (NkB) zu denjenigen Flächen, welche durch diese naturnah unterhalten werden. Wenn diese Flächen nicht gemäss der Leistungsvereinbarung zwischen BAV und SBB sowie der Vereinbarung zwischen dem Kanton Aargau und der SBB naturnah durch die SBB unterhalten werden, sei dies aus mehreren Gründen problematisch:
a) Der pauschale Verzicht auf einen zweiten Mähschnitt innerhalb den geforderten 20 % an naturnahen Flächen ist problematisch, weil ein Einschnitt-Regime nicht bei allen Flächen ausreicht, um die betroffenen Biotope in ihrer typischen Artenvielfalt zu erhalten und zu fördern. Mit einer längeren Vegetationszeit, höheren Temperaturen, milderen Wintern und entsprechend variablen Niederschlägen als Folge des Klimawandels verstärkt sich vor allem das Gräser-Wachstum zulasten der übrigen floristischen Artenvielfalt.
"Kontinuierliche und umfassende Bekämpfung zwingend"
Die faktische Unternutzung dieser Flächen und die damit verbundene Selbstdüngung sowie diffuse Nährstoff-Einträge aus der Umgebung fördern nährstoffliebende Arten und tragen zu monotoneren Pflanzenbeständen bei. b) Für eine erfolgreiche Eindämmung invasiver Neophyten sei eine kontinuierliche und umfassende Bekämpfung zwingend. Der vollständige Verzicht auf die Neophytenbekämpfung während einer ganzen Vegetationssaison (mit Ausnahme von TWW) erlaube das ungehinderte Versamen in angrenzende Flächen sowie den Aufbau beträchtlicher Samenreservoire im Boden.
Betroffen seien dabei sowohl die Flächen innerhalb der Schutzgebiete als auch ausserhalb sowie angrenzend an Bahnareale. Anstrengungen aus vergangenen Jahren wie auch die Bekämpfungsmassnahmen auf angrenzenden Flächen werden in ihrer Wirkung damit stark beeinträchtigt, kritisiert die Regierung.
Kanton gab "ausnahmsweise" selbst zweiten Mähschnitt in Auftrag
Nachdem auf Nachfrage bekannt geworden war, dass der naturnahe Unterhalt ihrer Flächen auch innerhalb der NkB durch die SBB nicht mehr sichergestellt sei, habe die Abteilung Landschaft und Gewässer des Departements Bau, Verkehr und Umwelt reagiert und ihrerseits ausnahmsweise einen Auftrag für den zweiten Mähschnitt und zur Neophytenbekämpfung auf den SBB-Flächen innerhalb der kantonalen Schutzgebiete erteilt. Die Auftragserteilung erfolgte – aufgrund der ausbleibenden Information durch die SBB – allerdings äusserst kurzfristig und hinsichtlich der Neophytenbekämpfung verhältnismässig spät in der Vegetationssaison.
Für den Unterhalt von kommunalen Schutzzonen auf SBB-Parzellen bestehen Unterhaltsverträge zwischen der SBB und den Gemeinden. Auf diesen Flächen wird der Unterhalt durch die SBB organisiert. Die vertraglich vereinbarten Leistungen umfassen die differenzierte Pflege der Flächen und die Neophytenbekämpfung. Durch den Vertrag verpflichtet sich der Grundstückbesitzer (SBB), die ausgewiesenen Flächen mit ökologisch aufwertenden Massnahmen zu unterhalten.
Gemeinden beteiligen sich in der Regel zur Hälfte an den Kosten
Die Gemeinden beteiligen sich in der Regel zur Hälfte an den Kosten. Gemäss Kommunikation der SBB wird die Nichterfüllung der Neophytenbekämpfung in der Abrechnung 2024 berücksichtigt und vom Rechnungsbetrag abgezogen. Alle anderen vertraglich vereinbarten biodiversitätsfördernden Massnahmen werden gemäss SBB eingehalten und umgesetzt. Aus der Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Leistungen durch die SBB im Jahr 2024 ergebe sich im Kanton Aargau bei der Pflege der kommunalen Schutzzonen eine Lücke bei der Neophytenbekämpfung.
Insgesamt befinden sich 19 NkB-Gebiete auf beziehungsweise entlang von Flächen der SBB, schreibt die Regierung weiter. Die NkB-Fläche auf SBB-Parzellen entsprechte gesamthaft ca. 10 ha. Ausserdem befinden sich ungefähr 226 kommunale Naturschutzzonen (NSZ) auf beziehungsweise entlang von Flächen der SBB. Die NSZ-Fläche auf SBB-Parzellen entspricht ca. 70 ha. Zu B) Direkt angrenzend an die SBB-Parzellen befindet sich auf einer Länge von ca. 100 km landwirtschaftliche Nutzfläche.
Das entspricht ca. 17 % der gesamten Aussengrenze der SBB-Flächen. In 10 m oder weniger Abstand zu SBB-Parzellen befindet sich auf einer Länge von ca. 240 km landwirtschaftliche Nutzfläche. Das entspricht knapp 40 % der gesamten Aussengrenze der SBB-Flächen.
Es existiert keine kantonsrechtliche Grundlage, um ausserhalb der kantonalen Schutzgebiete flächendeckend für den Mehraufwand aufzukommen, der aufgrund des Massnahmenverzichts der SBB entsteht. Gemäss Dekret über den Natur- und Landschaftsschutz können in kommunalen Naturschutzzonen für Naturschutzunterhaltsmassnahmen inklusive Neophytenbekämpfung beim Kanton Naturschutzbeiträge beantragt werden.
Gemeinden können kostenlose Unterstützung beantragen
Die Gemeinden haben zudem die Möglichkeit im Rahmen des kantonalen Projekts "Beschäftigungsprogramm Neophytenbekämpfung" für Flächen, auf denen ein hoher Initialaufwand notwendig ist, um die invasiven Neophyten in den Griff zu bekommen, eine kostenlose Unterstützung zu beantragen. Dabei handelt es sich um ein Beschäftigungsangebot für Asylsuchende und Sozialhilfebeziehende.
Es bestehe ein fachlicher Austausch mit den verantwortlichen Personen innerhalb der Division Infrastruktur der SBB sowie auf strategischer Ebene im Verband öffentlicher Verkehr, in welchem das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (vertreten durch die Abteilung Landschaft und Gewässer) die Interessen der Naturschutzfachstellen aller Kantone im Mandat vertritt, schreibt die regierung weiter auf die zahlreichen Fragen der Interpellation.
Im Juni 2024 bei SBB interveniert
$Die kantonale Naturschutzfachstelle und die Koordinationsstelle Neobiota haben demnach im Juni 2024 bei den zuständigen Personen der SBB interveniert als bekannt wurde, dass die SBB ihren Verpflichtungen im Jahr 2024 nicht nachzukommen gedenke. Nach Aussage der SBB betrifft der Verzicht auf die Neophytenbekämpfung nur das Geschäftsjahr 2024. Ab 2025 soll die Neophytenbekämpfung wieder wie bis anhin stattfinden3 . Unklar ist, wie die SBB gewährleisten will, dass in Zukunft nicht wieder Sparmassnahmen zulasten einer ökologisch ausreichenden Pflege getroffen werden, solange die dazu nötigen Mittel aus der Leistungsvereinbarung mit dem BAV nicht gegeben beziehungsweise nicht zweckgebunden sind.
Der Kanton Aargau setzt sich in Vertretung aller Kantone seit mehreren Jahren in seinem Mandat im Verband öffentlicher Verkehr für eine ausreichende und zweckgebundene Finanzierung zur ökologischen Pflege und wirkungsvollen Neophytenbekämpfung ein. Bis jetzt fand dieser wiederholte Appell auf Bundesebene nicht das gewünschte Gehör. Die kantonale Koordinationsstelle Neobiota wird im Rahmen eines vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) initiierten Pilotprojekts, bei welchem nebst nationalen und kantonalen Verkehrsinfrastrukturbetreibern auch die SBB involviert ist, zuhanden des BAFU eine Stellungnahme verfassen, in welcher auf diese Missstände nochmals explizit hingewiesen wird.
Es existiere keine kantonsrechtliche Grundlage für eine generelle Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte ausserhalb kantonaler Schutzgebiete aufgrund des Mehraufwands bei der Neophytenbekämpfung, der durch den Massnahmenverzicht der SBB entsteht. In Härtefällen (zum Beispiel bei stetigem Sameneintrag von benachbarten Flächen) bestehe auf Labiola-Flächen die Möglichkeit der kostenlosen Unterstützung im Rahmen des bereits beschriebenen kantonalen Projekts "Beschäftigungsprogramm Neophytenbekämpfung". Die Landwirtinnen und Landwirte helfen bei der Bekämpfung mit, ihnen entstehen aber keine zusätzlichen Kosten.
Thema in der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz?
Zurzeit finden Gespräche laut Regierungsantwort auf Ebene der kantonalen Fachabteilungen statt, um gemeinsam mit den Verantwortlichen der SBB nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Der Regierungsrat erwartet, dass gemeinsame Lösungen gefunden werden, behält sich allenfalls vor, das Thema in der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz zur Sprache zu bringen.
Ein messbarer Schaden sei schwer abzuschätzen. Die Flächen seien sehr unterschiedlich und müssen im Einzelfall beurteilt werden. Ein ausbleibender zweiter Schnitt in Kombination mit dem Verzicht zur Bekämpfung von Neophyten entspreche jedoch nicht einer schutzzielkonformen Pflege, auch wenn sich diese erst bei Wiederholung langfristig negativ auf Flora und Fauna auswirkt. Andere unsachgemässe Pflegemassnahmen wie Mulchen machen sich jedoch bereits nach 1–2 Jahren bemerkbar. E
in messbarer Schaden aufgrund eines ausbleibenden Mähschnitts in der Landwirtschaft sei schwer abzuschätzen, heisst es weiter. Der Verzicht auf einen zweiten Schnitt könne sich negativ auf die Eindämmung invasiver Neophyten auswirken und zu einer erhöhten Neophytenbelastung führen.
SBB: naturnaher Unterhalt ausser im2024 gewährleistet
Die SBB habe einen naturnahen Unterhalt der kantonalen Schutzgebiete und kommunalen Naturschutzzonen explizit in Aussicht gestellt und halte weiterhin daran fest, dass mit Ausnahme des Jahrs 2024 diesen naturnahen Unterhalt auch gewährleistet wird. Der Bund und seine Betriebe müssen bei der Erfüllung der Bundesaufgaben dafür sorgen, dass Naturdenkmäler geschont werden und, wo das allgemeine Interesse an ihnen überwiegt, ungeschmälert erhalten bleiben. Für den Bahnbetreiber bestehe jedoch keine zwingende Unterhaltspflicht der Schutzgebiete und Schutzzonen im Sinne der Schutzziele, er habe jedoch eine solche zu dulden.
Wie sieht es entlang der Autobahnen aus?
Die Neophytenbekämpfung entlang der Autobahnen im Kanton Aargau erfolge ebenfalls nicht flächendeckend, jedoch insoweit effizient, als dass gemäss der Strategie des Bundesamts für Strassen vorgegangen wird, geht aus der Regierungsantwort weiter hervor: Das Schmalblättrige Greiskraut und das Einjährige Berufkraut werden in den Biodiversitätsschwerpunkten so weit wie möglich getilgt respektive bei grossen Vorkommen eingedämmt. Die beiden Arten werden von Hand ausgerissen und entsorgt. In den übrigen Grünflächen werden diese toleriert. Sollte es punktuell zu Reklamationen kommen werden diese Flächen wie gewohnt durch Mähen bekämpft. Die übrigen Neophyten und Problempflanzen werden auf der ganzen Strecke eingedämmt. Aus Sicht des Kantons bestehe kein Handlungsbedarf zur Intervention.