Integrative Schule unter Druck: Die Mitte will sie mit einem Vorstoss weiterentwickeln und damit retten

Die Integrative Schulform ist im Kanton Aargau politisch von Seiten von FDP und SVP, die im neuen Grossen Rat zusammen mit der EDU ab Januar eine Mehrheit haben werden, stark unter Druck. "Das Ziel, die Vielfalt der Schülerschaft zu respektieren und jedem Kind die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen, ist für die Mitte Fraktion unbestritten und wichtig." Das hält Die Mitte in einer Mitteilung zur Integrativen Schule fest. Die integrative Schulung von Schülerinnen und Schüler sei ein wichtiger Grundpfeiler der heutigen Volksschule. Der Aargau hat sich für die integrative Schule entschieden und die Gemeinden haben diese mit viel Aufwand umgesetzt.

Die Mitte bezeichnet die integrative Schulform nicht als gescheitert, sondern als Schulform, die aufgrund verschiedenster Erfahrungen und Erkenntnissen weiterentwickelt werden muss; es braucht dringend verschiedene Gelingensbedingungen sowie wirkungsvolle Anpassungen.
 
Nötig sind ausreichende Ressourcen und hohe Professionalität

Um ein solches Bildungssystem erfolgreich zu realisieren und dabei allen Schülerinnen und Schüler individuelle Lernfortschritte zu ermöglichen, brauche es bei den Schulen vor Ort nebst ausreichenden Ressourcen, eine hohe Professionalität aller Fachkräfte, eine Schule mit einer gestärkten Haltung in Bezug auf die gemeinsame Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und tragfähige Kooperationen aller Beteiligten, so die Mitte.

Die Mitte Fraktion will nun den Regierungsart mit einem Postulat (Sprecher Jürg Baur, Originaltext s. unten) beauftragen, konkrete Massnahmen zu ergreifen, welche das Gelingen der integrativen Schulform mit einem Mehrwert sicherstellen. Dies soll möglichst zeitnahe mit einer sorgfältigen Planung und einem effizienten Umgang mit den entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen passieren

Hier der Vorstoss im Wortlaut

Postulat der Mitte-Fraktion (Sprecher Jürg Baur, Brugg) vom 19. November 2024 betreffend Optimierung und Weiterentwicklung der integrativen Schulform in der Volksschule Aargau

Text:
"Der Regierungsrat wird beauftragt, konkrete Massnahmen zu ergreifen, welche das Gelingen der integrativen Schulform mit einem Mehrwert sicherstellen.

Begründung:
Die integrative Schulform ist im Kanton Aargau politisch stark unter Druck. Das Ziel, die Vielfalt der Schülerschaft zu respektieren und jedem Kind die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen, ist unbestritten. Darüber, wie dies erreicht werden kann, scheiden sich jedoch die Geister. Der Aargau hat sich für die integrative Schulform entschieden und die Gemeinden haben diese mit viel Aufwand umgesetzt. Der eingeschlagene Weg sollte deshalb weiterverfolgt und optimiert werden.

Um ein solches Bildungssystem erfolgreich zu realisieren und dabei allen Schülerinnen und Schüler (SuS) individuelle Lernfortschritte zu ermöglichen, braucht es bei den Schulen vor Ort nebst ausreichenden Ressourcen eine hohe Professionalität aller Fachkräfte und eine Schule mit einer gestärkten Haltung in Bezug auf die gemeinsame Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Bedürfnissen sowie tragfähige Kooperationen aller Beteiligten.

Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten1 lernen in integrativen Schulformen mehr und zeigen bessere Schulleistungen als vergleichbare Kinder und Jugendliche in separativen Schulformen (Sonderschulen, Sonderschulklassen) (Bless 2017; Matthewes, 2020). Dieser Befund wird in zahlreichen Querschnittstudien immer wieder bestätigt (Kocay et al. 2014), in den bisherigen wenigen Längsschnittstudien sind die Effekte für integrative Schulsettings auch eher positiv, allerdings weniger deutlich als in den Querschnittstudien (Lütje-Klose et al., 2018).

Als Grund für bessere Schulleistungen in integrativen Schulformen wird das höhere Erwartungsniveau in integrativen Schulklassen im Vergleich zu Sonderschulen und Sonderschulklassen angenommen (Sahli Lozano, 2022; Pitten Cate & Krischler, 2020). Zudem finden sich für Kinder mit Lernschwierigkeiten in integrativen Schulformen positive Vorbilder, was häufig in Sonderschulklassen nicht der Fall ist, da alle Kinder und Jugendlichen ähnliche Schwierigkeiten aufweisen (Eber-wein, 2018). Zudem kann aufgezeigt werden, dass separativ geschulte Kinder und Jugendliche mit Lern- und Verhaltensprobleme geringere Chancen auf eine Integration im ersten Arbeitsmarkt und an der Partizipation an der Gesellschaft haben (Eckhart et al., 2011; Riedo, 2000). Dies führt zu gesellschaftlichen Folgekosten.

Ein ausschlaggebender Punkt für eine optimale Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten sind die schulischen Kontextfaktoren, wie die Gestaltung von Beziehungen, die didaktische Orientierung und Gestaltung, die Einstellung der Lehrpersonen, der verhaltenspädagogische Umgang mit schwierigen Situationen, die Professionalität aller Fachkräfte, der Einbezug des familiären Umfeldes und nicht zuletzt die finanziellen Ressourcen. Die Schaffung einer integrativen, respektvollen und unterstützenden Lernumgebung ist entscheidend, um die Potenziale der Diversität zu nutzen. Der vorhandene Fachkräftemangel, die Zunahme von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen und die gestiegene Erwartung der Eltern an die Kinder, verschärfen die Herausforderungen an unseren Schulen.

Es muss uns gelingen, dass der Regelunterricht mit den nötigen Unterstützungsmassnahmen und die Klassenlehrpersonen gestärkt werden können. Mögliche Unterstützungen sind:

  • Schnellere Abklärungen bei Kindern mit Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störungen oder möglichen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen
  • Zeitnahe Umsetzung von bereits geforderten Frühfördermassnahmen
  • Abbau der Wartelisten für SuS, die aufgrund von Abklärungen in einer Sonderschule gefördert werden müssen
  • Prüfung neuer Arbeitsmodelle
  • Unterstützung von Lehrpersonen
    o Weiterbildung und Beratung für eine differenzierte Didaktik in (immer) heterogenen Lerngruppen für Lehrpersonen und in geeigneter Form auch für Schulleitungen.
    o Weiterbildung und situative Beratung in verhaltens-pädagogischen Ansätzen für die Lehrpersonen und in angepasster Form für Schulleitungen.
    o Schulung der Lehrpersonen und Schulleitungen in der Gesprächsführung mit den Eltern auffälliger Schülerinnen und Schüler.
    o Schaffung temporärer Time-out-Möglichkeiten bei gleichzeitiger Beratung und Intervention in den Herkunftsklasse.

Wir bezeichnen die integrative Schulform nicht als gescheitert, sondern als Schulform, die aufgrund verschiedenster Erfahrungen und Erkenntnissen weiterentwickelt werden muss. Dies soll möglichst zeitnahe mit einer sorgfältigen Planung und einem effizienten Umgang mit den entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen passieren.

(1 Diese Umschreibung umfasst in der Regel Kinder mit allgemeinen Lernschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen und Teilleistungsstörungen (z.B. Lese-Rechtschreib-Störungen und Rechenstörungen) (Dienststelle Volksschulbildung, 2023).)"