Grosser Rat Aargau will Zugangsrecht für präventive Kontrolltätigkeit zur gezielten Bekämpfung von Strukturkriminalität

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Nach längerer Pause tagt der aargauische Grosse Rat heute wieder ab 10 bis 17 Uhr, mit einer Mittagspause zwischen 12.30 und 14 Uhr. Auf der Traktandenliste befinden sich 31 Geschäfte. Effektiv sind es nur 30, weil eins infolge Abwesenheit des Einreichenden verschoben wird. Wir berichten fortlaufend über die Beschlüsse.
Mitteilungen des Präsidenten
Es ist 10 Uhr, Ratspräsident Markus Gabriel eröffnet die Sitzung. Er gratuliert Grossrätin Jacqueline Felder und Rolf Jäggi (beide SVP) zum Geburtstag. Anwesend sind 131 der 140 Grossrätinnen und Grossräte. Nun geht es in medias res.
Fraktionserklärung der SP zum Abstimmungsbüchlein
Nun spricht Carol Demarmels (SP) mit einer Fraktionserklärung. Es geht um das Abstimmungsbüchlein des Kantons zur Steuerabstimmung vom 18. Mai. Wenn darin rund 80 % der Aargauerinnen und Aargauer unerwähnt bleiben, sei das inakzeptabel, sagt Demarmels. Die 50 Prozent Aargauer/innen, die leer ausgehen, blieben faktisch unerwähnt. 20 Prozent profitierten nur minimal, kritisiert Demarmels weiter. Die Beispiele im Abstimmungsbüchlein beträfen nur jene mit einem steuerbaren Einkommen von über 50 000 Franken.
Umgekehrt sehe man nirgends die 10 Prozent Oberen, die besonders gewinnen. Gewiss seien die Rechenbeispiele im Abstimmungsbüchlein korrekt, doch fehlten viele andere Beispiele: "Das ist keine transparente Politik." Mehrere SP-Mitglieder haben deshalb Beschwerde beim Verwaltungsgericht eingereicht. Sie fordern 16 zusätzliche Beispiele in der Abstimmungsbroschüre.

Inpflichtnahme
Das zweite Traktandum betrifft die Kantonale Staatsanwaltschaft. Lorenz Kilchenmann wird als Leiter der Kantonalen Staatsanwaltschaft in Pflicht genommen.
Ersatzwahl Justizleitung
Ersatzwahl Justizleitung für den Rest der Amtsperiode 2023-2026; Mitglied und Ersatzmitglied; Bericht der Kommission für Justiz (JUS) vom 25. März 2025. Wahlvorschläge JUS/Büro sind: - Marc Busslinger, Untersiggenthal, Wahl als Mitglied der Justizleitung - Raphael Kathriner, Bottenwil, Wahl als Ersatzmitglied der Justizleitung Vorschlag: Stille Wahlen. Das geschieht so. Die beiden sind in stiller Wahl gewählt.
Wahl einer Ersatzrichterin/eines Ersatzrichters
Wahl einer Ersatzrichterin/eines Ersatzrichters am Obergericht (Verwaltungsgericht) für den Rest der Amtsperiode 2023-2026. Wahlvorschlag JUS/Büro: Caroline Lehner, Rombach, als Ersatzrichterin am Verwaltungsgericht. Auch sie wird in stoiller Wahl gewählt.
Kommissionen
Als nächstes nimmt der Grosse Rat von der Jahresberichterstattung der Geschäftsprüfungskommission (GPK) zur Kenntnis. Vorgestellt wird er von Präsidentin Lelia Hunziker (SP). Lesen Sie untenstehend die Mitteilung der GPK.
Es folgen Geschäfte des Volkswirtschaftsdepartements
Nun wird das Unvereinbarkeitsgesetz (UG) beraten: Änderung; Bericht und Entwurf zur 2. Beratung. Referent der AVW ist Hanspeter Hilfiker (FDP). Es geht um Eintreten, die Detailberatung und Beschlussfassung.
Worum geht es? Mit der Motion der Fraktion Die Mitte (Sprecher Alfons Paul Kaufmann, Wallbach) vom 23. März 2021 betreffend Beseitigung einer durch die Aufhebung der Schulpflegen entstandenen Unvereinbarkeit zwischen dem Amt einer Gemeinderätin respektive eines Gemeinderats und der Tätigkeit als Lehrperson in der gleichen Gemeinde wurde der Regierungsrat aufgefordert, die durch die Abschaffung der Schulpflegen entstandene Unvereinbarkeit zwischen dem Amt einer Gemeinderätin beziehungsweise eines Gemeinderats und der Tätigkeit als Lehrperson in der gleichen Gemeinde zu beseitigen.
Das Unvereinbarkeitsgesetz (UG) ist dementsprechend einer Teilrevision unterzogen worden. Neben der Umsetzung der Motion wird das UG in folgenden weiteren Punkte geändert: Damit die bestehende Unvereinbarkeit des Amts als Mitglied des Gemeinderats nicht nur zur Mitgliedschaft in einer Finanzkommission, sondern auch zu derjenigen in der Geschäftsprüfungskommission klar zum Ausdruck kommt, werden die §§ 1 Abs. 2 lit. f sowie 6 Abs. 1 UG mit der Geschäftsprüfungskommission ergänzt.
Eine Änderung betreffend Beschränkung der Unvereinbarkeit zwischen Gemeinderatsamt und Präsidium der Schlichtungsbehörden für Miete und Pacht auf den nämlichen Wahlkreis wird systematisch mit der Schaffung neuer Bestimmungen realisiert. Die Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in einer Schulleitung einer öffentlichen Schule der Gemeinde mit dem Gemeinderatsamt, unabhängig vom Pensum, wird durch eine entsprechende Ergänzung im UG geregelt. Eine weitere Anpassung ist in Bezug auf die Schulbehörden mittels Streichung von § 7 UG vorgenommen worden.
Der Rat heisst die Vorlage in zweiter Lesung mit 115 : 2 Stimmen gut.
Rückzug - keine öffentlichen Regierungssitzungen
Eine Motion von Sander Mallien (GLP) zur Öffentlichkeit von Verhandlungen des Regierungsrats wird von diesem abgelehnt. Mallien und seine Mitmotionäre ziehen den Vorstoss zurück.
Reduktion der Gefangenentransporte
Ein Postulat der Geschäftsprüfungskommission (Sprecherin Lelia Hunziker/SP) verlangt eine Reduktion der Gefangenentransporte im Kanton Aargau. Der Regierungsrat ist zur Entgegennahme mit einer Erklärung bereit. Der Vorstoss wird stillschweigend überwiesen.
Worum geht es? Der Regierungsrat wird im Vorstoss gebeten, zu prüfen, welche Massnahmen und Vorkehrungen zu ergreifen sind, damit die Anzahl der Transporte von Gefangenen im Kanton Aargau aus Sicherheitsgründen langfristig und anhaltend reduziert werden kann. Insbesondere sei aufzuzeigen, welche Möglichkeiten in den einzelnen Bereichen zur Reduktion der Gefangenentransporte bestehen, welche gesetzlichen Anpassungen notwendig und welche Kosten mit den Änderungen verbunden sind.
Kampf gegen Strukturkriminalität: "Menschenhandel wuchert wie Geschwür"
Nun verlangen Barbara Borer-Mathys, SVP, Holziken (Sprecherin) und Adrian Meier, FDP, Menziken, verlangen eine Änderung des Polizeigesetzes des Kantons Aargau (PolG) zur Schaffung eines Zugangsrechts – insbesondere für die präventive Kontrolltätigkeit zur Bekämpfung von Strukturkriminalität. Der Regierungsrat solle im kantonalen Polizeigesetz die gesetzliche Grundlage schaffen, damit die Kantonspolizei einBeiträge Visier der Motionäre scheinen beispielsweise Shisha-Bars, Barbershops, Bordelle zus ein.
Der Regierungsrat ist zur Entgegennahme beriet, bei Umwandlung in ein unverbindlicheres Postulat. Die Motionäre sind damit nicht einverstanden, so Borer-Mathys. Der Menschenhandel wuchere wie ein Geschwür. Man müsse handeln, die Regierung habe dann ja drei Jahre Zeit für die Umsetzung der Forderung.
Die FDP erklärt, sie würde den Vorstoss als Postulat unterstützen, jedoch nicht als Motion. Abgelehnt wird der Vorstoss auch von der SP und den Grünen: Strukturkriminalität müsse bekämpft werden, sagt Lelia Hunziker (SP). Doch da hörten die Gemeinsamkeiten mit dem Vorstos schon auf. Mit der Brandmarkung bestimmter Branchen diskriminiere man sie und stelle sie unter Generalverdacht, das gehe gar nicht.
Demgegenüber wird die Motion von der SVP unterstützt, ebenso von der Mitte und der EVP.
Dieter Egli: es braucht einen Anfangsverdacht
Namens der Regierung sagt Landammann Dieter Egli, Strukturkriminalität finde statt. Sie sei aber nicht offensichtlich, deshalb müsse man genau hinsehen, sie nachgerade aufstöbern. Kontrollen ohne Anfangsverdacht wären jedoch rechtsstaatlich sehr heikel, mahnt er. Die Regierung lehnt die Motion deshalb ab. Man dürfe das Kind nicht mit dem Bad ausschütten, so Egli.
Der Rat entscheidet mit 88 : 42 Stimmen klar für die Motion. Die FDP, die den Vorstoss eigentlich nur als Postulat überweisen wollte, schwenkte jetzt offenkundig auf die verbindliche Motion ein.
Zweite, ähnlich gelagerte Motion zum Informationsaustausch
Motion Barbara Borer-Mathys, SVP, Holziken (Sprecherin), Adrian Meier, FDP, Menziken. Sie verlangen eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen zur Verstetigung des Informationsaustausches zwischen Behörden zur Bekämpfung von Strukturkriminalität. Der Regierungsrat soll beauftragt, erdendie gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit im Kanton Aargau zwischen Kantons- und Gemeindebehörden einerseits und den Strafverfolgungsbehörden andererseits ein niederschwelliger Informationsaustausch zur Bekämpfung von Strukturkriminalität möglich wird. Begründung:
Dieter Egli wehrt sich materiell auch gegen diesen Vorstoss, die Regierung würde ihn lediglich als Postulat zur Prüfung entgegennehmen. Auch wenn er als Motion überwiesen würde, würde die Regierung diese genau prüfen. Er warnt "vor zu hohen Erwartungen".
Auch dieser Vorstoss wird mit 88 : 41 Stimmen an die Regierung überwiesen.
Änderung des Einführungsgesetzes zu den Bundesgesetzen über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die Invalidenversicherung
Der Grosse Rat hat einer vorgeschlagenen Änderung des Einführungsgesetzes zu den Bundesgesetzen über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die Invalidenversicherung (EG AHVG/IVG) am 5. November 2024 mit 118 zu 0 Stimmen (0 Enthaltungen) in erster Lesung zugestimmt. Der Bund muss die kantonalen Vollzugserlasse zur Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und Invalidenversicherung (IV) genehmigen.
Anlässlich der Vorprüfung der Genehmigungsfähigkeit hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) den Wunsch geäussert, dass einige Bestimmungen des kantonalen Gesetzes mit Verweisen auf Bundesrecht ergänzt werden. Der Aargauer Regierungsrat hat dies in diesem Sinne ergänzt. Inhaltlich hat sich nichts geändert. Weiter beantragt der Regierungsrat auf Hinweis des BSV hin, dass eine Delegationsnorm auf Stufe Gesetz geschaffen wird, damit der Regierungsrat die Modalitäten der Revision und Berichterstattung über die vom Kanton an die SVA Aargau übertragenen Aufgaben (zum Beispiel Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen) festlegen kann. Die vorgeschlagenen Änderungen sollen am 1. Dezember 2025 in Kraft treten. Der Rat heisst die Vorlage in zweiter Lesung mit 126 : 0 Stimmen gut.
Altersguillotine 60 bei der Feuerwehr wird nicht gelockert
Nun verlangen Titus Meier, FDP, Brugg (Sprecher) und Bruno Tüscher, FDP, Münchwilen, eine Lockerung der Altersguillotine bei der Feuerwehr. Sie bitten den Regierungsrat, die in der Feuerwehrverordnung festgelegte Entlassung der Angehörigen der Feuerwehr bei Vollendung des 60. Altersjahres aus dem aktiven Feuerwehrdienst zu lockern. Sie begründen das so: Gemäss gültiger Verordnung müssen Feuerwehrleute spätestens nach Vollendung des 60. Altersjahrs aus dem aktiven Feuerwehrdienst entlassen werden. Ausnahmen sind nur möglich, wenn die berufliche Stellung direkt mit der Funktion in der Feuerwehr verbunden ist.
Die Regierung lehnt den Vorstoss ab. Der zuständige Regierungsrat Jean-Pierre Gallati lobt, das Feuerwehrsystem funktioniere mit jährlich etwa 900 Ab- und Zugängen vorbildlich. Zum Glück habe die Feuerwehr im Aargau kein Personalproblem. Keine einzige Gemeinde habe diesen Wunsch der Motionäre an die Regierung herangetragen.
Die Motion wird deutlich mit 110 Nein : 30 Ja abgelehnt.
Wie ambulante medizinische Grundversorgung sichern?
In einem Postulat regen Severin Lüscher, Grüne, Schöftland (Sprecher) sowie C. Hochreuter, SVP, Erlinsbach, Dr. T. Hottiger, FDP, Zofingen, K. Faes, FDP, Schöftland, S. Freiermuth, FDP, Zofingen, H.-P. Budmiger, GLP, Muri, T. Dietiker, EVP, Aarau, Dr. J. Knuchel, SP, Aarau, Dr. L. Engeli, SP, Unterentfelden, A. Rotzetter, Mitte, Buchs, die Schaffung rechtlicher Grundlagen zur Verhinderung von medizinischer Unterversorgung im ambulanten Gesundheitssektor an.
Der Regierungsrat möge im Hinblick auf den durch die Gesundheitspolitische Gesamtplanung (GGpl 2030) nötig werdenden Gesetzgebungsprozess und im Lichte der bundesrechtlich einzuführenden «Einheitlichen Finanzierung» darlegen, wie der Kanton Aargau versorgungskritische Leistungen im ambulanten Gesundheitssektor, insbesondere in der medizinischen Grundversorgung und Chronic Care, sicherstellen und mit welchen rechtlichen Grundlagen und flankierenden Massnahmen er regional drohende oder manifeste Unterversorgung verhindern will.
Die Regierung ist bereit, das Postulat entgegenzunehmen. Es wird stillschweigend überwiesen.
Rapid-Responder-Systems im Kantons Aargau?
Als nächstes will Tobias Hottiger, FDP, Zofingen, mit einem Postulat den Aufbau eines Rapid-Responder-Systems im Kantons Aargau anregen. Der Regierungsrat wird aufgefordert, die Einführung eines Rapid-Responder-Systems im Kanton Aargau zu prüfen. First Responder sind Personen, die in der Anwendung von lebensrettenden Sofortmassnamen und des automatischen externen Defibrillators ausgebildet sind. Sie können durch die Sanitäts-Notrufzentrale für medizinische Notfälle (Herz-Kreislauf-Stillstand) aufgeboten werden. Der Regierungsrat lehnt dies nach vertiefter Prüfung ab und begründet es auch. Hottiger erklärt jetzt im Grossen Rat, die Argumente der Regierung leuchteten ihm ein, das würde heute nicht gehen. Er hält den Vorstoss nicht aufrecht.
Automatisierte Auszahlung der Prämienverbilligungen?
In einem Postulat verlangen Lucia Engeli, SP, Unterentfelden (Sprecherin), Hans-Peter Budmiger, GLP, Muri, Carol Demarmels, SP, Obersiggenthal, Therese Dietiker, EVP, Aarau, Dr. Jürg Knuchel, SP, Aarau, Dr. Severin Lüscher, Grüne, Schöftland, Isabelle Schmid, Grüne, Tegerfelden, die Prüfung der automatisierten Auszahlung der Prämienverbilligung für den unteren Mittelstand.
Die Regierung ist unter gleichzeitiger Abschreibung zur Entgegennahme bereit. Mit der Abschreibung ist Engeli überhaupt nicht einverstanden. So ein System funktioniere in anderen Kantonen. Von bürgerlicher Seite wird durch ein System zusätzlicher bürokratischer Aufwand befürchtet, derweil das Antragsprinzip funktioniere.
Ratspräsident Gabriel unterbricht jetzt die Debatte für die Mittagspause. Um 14 Uhr geht es weiter. En Guete!
Übrigens: Die nächste Grossratssitzung findet dann am 13. Mai statt. Sie beginnt schon um 08.30 Uhr und dauert lediglich bis 10.45 Uhr. Der Grund liegt darin, dass die Fraktionen danach ihre Jahresausflüge machen.