FDP-Parteitag lehnt den "Mantelerlass" deutlich ab und nominiert Stephan Attiger für eine weitere Amtsperiode
Am 26. März fand in Untersiggenthal ein Parteitag der FDP Aargau mit 75 Teilnehmenden statt. Präsidentin Sabina Freiermuth eröffnete den Abend mit der "bitteren Pille", welche die Partei vor einer Woche im Grossen Rat habe schlucken müssen. Sie meinte die gegen den Widerstand der FDP (und der SVP) beschlossene Erhöhung des Eigenmietwerts von 60 auf 62 Prozent. Die Regierung schröpfe den Mittelstand mehr als nötig, so Freiermuth. Dieses Geld müsse den Steuerzahlenden zurückgegeben werden, forderte sie. In der Ausgleichskasse des Kantons liegen jetzt schon eine Milliarde Franken bereit. "Deshalb", so Freiermuth, "soll der Mittelstand gezielt ent- und nicht belastet werden."
Erfolg mit deutlich höherem Kinderabzug
Einen Erfolg konnte die FDP-Fraktion dafür an der gleichentags stattgefundenen Sitzung des Grossen Rats verbuchen. Der Rat erhöhte nämlich auf Antrag der FDP den Kinderabzug für alle Altersstufen über den Antrag der Regierung hinaus, für bis 14jährige beispielsweise auf 9000 Franken (die Regierung hatte eine Erhöhung auf 7700 Franken vorgeschlagen). Zusätzlich verlangte die FDP im Grossen Rat in einer Fraktionserklärung für den nächsten AFP eine Kantonssteuersenkung um mindestens drei Prozent.
Enttäuscht zeigte sich die FDP-Präsidentin über den Ausgang der Abstimmung über die 13. AHV-Rente. "Seit einiger Zeit wird der Staat mehr und mehr zum Selbstbedienungsladen." Damit setze man die Kultur des Zusammenhalts aufs Spiel, so Freiermuth weiter.
Sie hofft jetzt auf den 9. Juni. Die Prämienentlastungsinitiative der SP würde schnell bis 10 Milliarden jährlich kosten. Es sei komplett falsch, die Krankenkassenprämien einfach immer mehr zu subventionieren. Die Handlungsfelder seien bekannt, so Freiermuth. Die Krankenkassen- Initiative der Mitte würde gar zu Rationierungen führen, warnt Freiermuth. Sie erinnert daran, dass die FDP schon zu beiden Initiativen die Nein-Parolen gefasst hat.
Jungfreisinnige wollen "Blitzerabzocke" stoppen
Tim Voser, Präsident des Initiativkomitees, stellte die jungfreisinnige kantonale Initiative "Blitzerabzocke stoppen!" vor. Mit der Rotlichtkamera habe Baden ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen. Die Jungfreisinnigen sind seit September am Unterschriftensammeln. Die Initiative fordert eine Bewilligungspflicht für fixe Anlagen. Eine Bewilligung darf demnach nur gegeben werden, wenn die Kamera wirklich der Verkehrssicherheit dient, so Voser. Finanzielle Motive sollen unzulässig sein. Die Bewilligung soll der Regierungsrat erteilen können. Dann, wenn ein Verkehrssicherheitsdefizit bestehe und andere Massnahmen wirkungslos seien.
Kritisiert werde, das Thema sei doch nicht relevant, ergänzte Etienne Frey (Vizepräsident des Initiativkomitees). Es betreffe aber die Wählerschaft, sei emotional, bringe Aufmerksamkeit, es mobilisiere. Der Kanton Luzern habe zahlreiche fixe Blitzer-Standorte. Solche Verhältnisse wolle er nicht, so Frey.
Jauslin wirbt für das Stromgesetz
FDP-Nationalrat Matthias Samuel Jauslin stellte dem Parteitag das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ("Mantelerlass") vor, über das am 9. Juni an der Urne abgestimmt wird. Der Strombedarf steige, und im Winter werde man zu wenig Strom haben, betonte Jauslin. Nötig sei der Ausbau der Erneuerbaren sowie der Wasserkraft. Der Mantelerlass solle auch zur Erreichung des Klimaziels Netto-Null bis 2050 beitragen.
Wichtigste Massnahmen seien etwa verbindliche Ausbauziele sowie eine Verlängerung der Förderinstrumente bis 2035. Vorgesehen seien erleichterte Verfahren für 16 Wasserkraftprojekte, über die "ein breiter Konsens besteht", so Jauslin. Für die FDP stehe die Versorgungssicherheit zuvorderst. Das Gesetz sei nicht perfekt, räumte Jauslin ein, aber wenn man ihm nicht zustimme, habe man nachher ein Problem.
Pfisterer will dem Gesetz die rote Karte zeigen
Der frühere Grossratspräsident Lukas Pfisterer erklärte sich als klarer Gegner der Vorlage. Es gehe darum, die Energiewende richtig zu machen, und auch die Umwelt zu bewahren. Die Vorlage sei mehrfach verfassungswidrig. Bei einem konkreten Projekt müsse man eine Güterabwägung machen, doch die Vorlage ändere das radikal, kritisierte Pfisterer. Anlagen könnten künftig auch in geschützten Landschaften gebaut werden, pro Windturbine müsse man etwa ein Fussballfeld Wald roden, kritisierte Pfisterer weiter. Solche Fragen könne man nicht im Gesetz diskutieren, das müsse man auf Verfassungsebene tun, forderte er. Das Gesetz bringe auch einen groben Eingriff in die Zuständigkeiten der Gemeinden, er wolle dem Gesetz die rote Karte zeigen.
Matthias Jauslin widersprach, es sei kein Verfassungsbruch. Selbst die Stiftung Landschaftsschutz stimme der Vorlage zu. Ein weiterer Votant schloss sich Pfisterer an. Es stünden gute, aber auch schreckliche Sachen im Gesetz. Auch er empfahl, es an den Absender zurück zu senden.
Lauter ablehnende Voten
Grossrat Adrian Meier votierte ebenfalls für Ablehnung. In Bern sei Panik ausgebrochen, man habe einen Beschleunigungserlass "zusammengeschustert", kritisierte er. Das Gesetz bringe Planwirtschaft.
Als nächstes warnte ein parteiloser Votant am Beispiel von Windanlagen, das Gesetz heble die direkte Demokratie aus. Der Bezirksparteipräsident von Zurzach, Sebastian Laube, erklärte sich ebenfalls als Gegner. Nach einem Nein komme nämlich das Thema Atomenergie wieder aufs Tapet. Darauf hofft er offensichtlich.
Peter Stebler aus dem Bezirk Zofingen erklärte, die Subventionen seien an allem schuld. Es sei nichts geregelt, es gebe keine Abstandregeln für Windanlagen usw. 1000 Windräder und 20 Solarparks in den Alpen wolle man nicht wirklich, so Stebler. Ihm hielt Jauslin entgegen, wer eine geordnete gute Vorlage wolle, solle dieser zustimmen.
Als letzter meldete sich Grossrat Bernhard Scholl. Er wollte wissen, warum die Branche nicht im Boot sei und was in der Verordnung stehe. Die Verordnung könne er hier nicht vorlesen, so Jauslin. Die Branche habe man bei Anhörungen dabei gehabt. Er sei erstaunt, dass sie jetzt nicht mehr dabei sei.
Schliesslich war der Parteitag abstimmungsreif. Er lehnt die Vorlage mit 40 : 17 bei 6 Enthaltungen ab.
Thierry Burkart wirbt erfolgreich für den A1-Ausbau
Schliesslich informierte FDP-Schweiz-Präsident und Ständerat Thierry Burkart über den geplanten 6-Spur-Ausbau der A1. Mobilität sei wichtig für den Wohlstand, betonte er. Die A1 sei die Hauptschlagader des Strassensystems. Das heutige Netz basiere aber auf Beschlüssen von 1960. Wobei es heute für 9 Millionen Einwohner genügen müsste.
Der VCS habe das Referendum ergriffen, so Burkart. Natürlich brauche der Ausbau Boden, wie der VCS kritisiert, doch ohne die Vorlage brauche es sogar mehr Boden, zeigte sich Burkart überzeugt. Dies, weil es dann Ausweichverkehr gebe und man anderswo ausbauen müsse. Die Autobahn sei sehr effizient. Er warb für ein ja zu dieser Vorlage am 24. November an der Urne, und rannte damit offene Türen ein, Diskussionsbedarf gab es keinen. Die Ja-Parole wurde einstimmig bei einer Enthaltung gefasst.
Großratswahlen: Werder will Mobilisierungswahlkampf
Schliesslich warb im Ausblick zu den kommenden Grossratswahlen 2024 Wahlkampfleiter Peter Werder dafür, das Potenzial der möglichen FDP-Wählenden auszuschöpfen, und sie an die Urne zu holen. Wenn man Wahlen gewinnen wolle, müsse man einfach, deutlich und klar sein, so Werder.
Attiger mit stehendem Applaus nominiert
Im letzten Traktandum empfahl Thierry Burkart dem Parteitag namens der Geschäftsleitung die Nomination von Stephan Attiger für eine weitere Amtsperiode als Regierungsrat. Attiger sei wichtig für die Aargauer Politik, für den Aargau und für die FDP, so Burkart. Attiger sei lösungsorientiert und ein Pragmatiker, orientier sich aber immer an seinem liberalen Kompass, er habe eine grosse kommunikative Gabe und Humor, warb Burkart weiter.
Auch hier rannte Burkart offene Türen ein. Der Parteitag nominierte Baudirektor Attiger mit stehendem Applaus als Kandidat der FDP für eine weitere Amtsperiode als Regierungsrat.
Daniel Knecht vermisst Antworten der FDP auf drängende Fragen
Am Schluss des Abends mahnte der Unternehmer und frühere AIHK-Präsident sowie frühere FDP-Grossrat Daniel Knecht die Partei, sie habe seines Erachtens zu zwei zentralen Fragen, die die Bevölkerung bewegen, keine Antworten. Die Schweiz habe die Kontrolle über die legale und die illegale Zuwanderung verloren, so Knecht unter Verweis unter anderem auch auf die neuste Kriminalitätsstatistik. Dieses Thema bewirtschafte erfolgreich die SVP.
Ein grosses Problem sei zudem der Kaufkraftschwund der Menschen, die steigenden Mieten. Dieses Thema bewirtschafte die SP erfolgreich. Auch hier vermisst Knecht schlagende Antworten der FDP.