Aargauer Regierung lehnt Bargeldkarte für Flüchtlinge ab
Eine am 5. März im Grossen Rat eingereichte SVP-Motion fordert eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld für Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene (Begründung der SVP vergleiche unten im Artikel).
Jetzt liegt die - ablehnende - Antwort der Regierung vor. Darin hält sie fest, sie rede hier summarisch von "Personen aus dem Asylbereich" und meine damit Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer, Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung und ausreisepflichtige Personen.
Welche Personengruppe wäre genau damit gemeint?
Sollte der Grosse Rat die Motion – trotz anderslautendem Antrag des Regierungsrats – überweisen, so vertritt der Regierungsrat die Haltung, dass die Motion lediglich Asylsuchende und Ausreisepflichtige umfassen sollte. Sollte der Grosse Rat der Auffassung sein, dass das Bezahlkartensystem auch für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer eingeführt werden soll, so wäre die Motion aus Optik des Regierungsrats auch auf Schutzsuchende ohne Aufenthaltsbewilligung (Personen mit Schutzstatus S ohne Aufenthaltsbewilligung) auszudehnen, weil die beiden Personengruppen in Bezug auf die Sozialhilfe grossmehrheitlich gleich zu behandeln sind.
Unbekannter Umfang der Geldüberweisungen in das Herkunftsland
Im Kanton Aargau erhalten Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sowie Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung Fr. 9.50 pro Tag für Verpflegung und Taschengeld. In den kantonalen Unterkünften erfolgt die Auszahlung dieses Pauschalbetrags in Form von Bargeld. Ausreisepflichtige erhalten Fr. 7.50 Nothilfe pro Tag. Mit diesen Beträgen müssen die Personen aus dem Asylbereich nebst der Verpflegung auch alle privaten Auslagen abdecken.
Was in Form von Sachleistungen erbracht wird
Weitere Auslagen, wie die Unterkunft, anfallende Nebenkosten, Mobiliar, Putzmittel sowie Hygieneartikel richtet der Kantonale Sozialdienst des Departement Gesundheit und Soziales in Form von Sachleistungen aus. Die Unterstützung für Personen aus dem Asylbereich in Form von Sachleistungen entspreche dem Bundesrecht, hält die Regierung fest, und weiter: "Dem Regierungsrat liegen keine Zahlen vor, wie hoch die Geldüberweisungen von im Kanton Aargau lebenden sozialhilfebeziehenden Personen aus dem Asylbereich in ihr Heimatland sind."
Da die Höhe der Asylsozialhilfe im Kanton Aargau im Vergleich zu anderen Kantonen tief angesetzt ist, ist der Regierungsrat der Auffassung, dass die meisten sozialhilfebeziehenden Personen aus dem Asylbereich keine grossen Beträge in ihr Herkunftsland senden können, sondern die Bargeldbeträge für die Bestreitung des Alltags benötigen und auch verwenden. Auch das Verwaltungsgericht schätzt die Ansätze zur Asylsozialhilfe im Kanton Aargau eher tief ein.
Regierung: In der Regel ist nicht die Höhe der Sozialhilfe für eine Flucht in die Schweiz massgebend
Ob eine Bezahlkarte die vom Motionär erhoffte Wirkung entfalten würde, könne der Regierungsrat derzeit nicht beurteilen, weil ihm keine wissenschaftliche Datenlage zu diesem Thema bekannt ist, schreibt er weiter. Aus den genannten Überlegungen erachtet er die Einführung eines Bezahlkartensystems als nicht notwendig im Sinne der Motion. In der Regel sei nicht die Höhe der Sozialhilfe für eine Flucht in die Schweiz massgebend. Vielmehr seien andere Faktoren wie Krieg und Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen ausschlaggebend für die Migration.
Entsprechend ist der Regierungsrat der Auffassung, dass mit einem Bezahlkartensystem die Anzahl unbegründeter Asylgesuche nicht massgeblich verringert werden könne. In Bezug auf erwerbstätige Personen aus dem Asylbereich ist zu beachten, dass das Einkommen vom Arbeitgeber üblicherweise auf das persönliche Bankkonto überwiesen wird und die Erwerbstätigen frei sind in der Verwendung dieser Geldbeträge. Transaktionen von Lohnkonten in die Heimatländer liessen sich zudem auch mit einem Bezahlkartensystem nicht verhindern.
Verfügbarkeit eines geeigneten Bezahlkartensystems
Eine Bezahlkarte müsste guthabenbasiert und ohne Kontobindung funktionieren. Sie müsste weiter in einer grossen Anzahl Läden – die insgesamt den Gesamtbedarf an Alltagsnotwendigkeiten anbieten – einsetzbar sein. Entsprechend sollte die Bezahlkarte von möglichst vielen Händlern akzeptiert werden, um den Personen aus dem Asylbereich eine Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten zu bieten. Zudem müsste das Bezahlkartensystem verhindern, dass der Staat einzelne Detaillisten bevorzugt, schreibt die Regierung weiter.
In der Schweiz bisher nicht im Einsatz
Dem Regierungsrat ist in der Schweiz kein Bezahlkartensystem bekannt, das zurzeit für den in der Motion vorgesehenen Zweck eingesetzt wird. Der Regierungsrat geht jedoch davon aus, dass bei einer entsprechenden Nachfrage bestimmte Anbieter ein solches Angebot schaffen würden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob eine auf das Gebiet des Kantons Aargau begrenzte Bezahlkarte für die Anbieter finanziell rentabel wäre.
Nötig wäre kantonal einheitliches Bezahlkartensystem
Neben dem Kantonalen Sozialdienst unterstützen auch die Gemeinden die ihnen zugewiesenen Personen aus dem Asylbereich (vor allem vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sowie Schutzbedürftige Personen ohne Aufenthaltsbewilligung). Die Gemeinden richten die Unterstützungsleistungen derzeit in Bezug auf den Auszahlungsrhythmus oder die Auszahlungsart (Bargeld oder Banküberweisung) unterschiedlich aus, heisst es in der Regierungsantwort weiter. Vor dem Hintergrund des Ziels der Motion (keine Überweisungen von Sozialhilfegeldern in das Heimatland) wäre ein Bezahlkartensystem sowohl für den Kantonalen Sozialdienst wie auch für die Gemeinden einzuführen, findet die Regierung.
Damit sich die Personen über das Gebiet ihrer Wohngemeinde hinausbewegen können (Recht auf Bewegungsfreiheit) und um unbegründete Ungleichbehandlungen zwischen Personen aus dem Asylbereich zu vermeiden (Rechtsgleichheit), wäre ein kantonal einheitliches Bezahlkartensystem zu implementieren. Dies würde bedeuten, dass der Kanton den Gemeinden Vorgaben machen und deren Autonomie einschränken würde.
Bargeldkarte: Das fordert die SVP-Fraktion
In einer Motion fordert die SVP-Fraktion (Sprecher Mario Gratwohl), den Regierungsrat zu beauftragen, die Einführung eines Bezahlkartensystems als Ersatz für die aktuelle Praxis der finanziellen Unterstützung von Asylsuchenden und abgewiesenen Asylbewerbern auszuarbeiten und einzuführen.
Sie begründet das so: Das Asylsystem ist in erster Linie darauf ausgelegt, verfolgten Personen Schutz zu gewähren. Leider würden die Gründe für den Missbrauch dieses Systems immer vielfältiger, so die SVP. Insbesondere die finanzielle Unterstützung, welche die Schweiz den Flüchtlingen gewährt, werde zum Teil dazu missbraucht, Gelder in die Herkunftsländer zu schicken.
Auch im Ausland ist dieses Problem nicht unbekannt. Mehrere europäische Staaten haben deshalb kürzlich die Idee einer Bezahlkarte für Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene entwickelt. Es handelt sich um eine guthabenbasierte Karte, die ohne Kontobindung funktioniere, so die SVP-Fraktion weiter. Sie ersetzt das Auszahlen von Bargeld. Entsprechend sollen Flüchtlinge so einen Teil ihrer Leistungen als Guthaben auf dieser Karte erhalten.
Die Karte kann in der Regel überall dort benutzt werden, wo auch mit Kredit- oder EC-Karten gezahlt werden kann. Erste Versuche in einigen Landkreisen in Deutschland haben gezeigt, dass das System sehr gut funktioniert. Mit der Bezahlkarte können Asylsuchende innerhalb des Landkreises bis zu einer entsprechend vom Landkreis gesetzten Limite in einzelnen Geschäften einkaufen gehen.
SVP: hilft, Schlepperkriminalität zu bekämpfen
Die Einführung einer solchen Bezahlkarte bekämpfe einerseits die Schlepperkriminalität und senke andererseits die Anreize für illegale Einwanderer, ist man in der SVP überzeugt. Sie verhindert, dass Geldleistungen an Schlepperbanden weitergeleitet werden können oder Dritte in den Ursprungsländern mit staatlicher Schweizer Unterstützung mitfinanziert werden. Mit der Einführung eines solchen Bezahlkartensystems soll deshalb auch im Aargau die heutige Ausrichtung der finanziellen Unterstützung an Asylsuchende und Abgewiesene ersetzt werden.
Diese Vorteile der Bezahlkarte sieht die SVP
Sie soll regional für Einkäufe genutzt werden können. Die Vorteile eines Bezahlkartensystems liegen laut SVP auf der Hand:
• Verbesserte Sicherheit: Durch die Einschränkung bei Einkäufen werde das Risiko von Missbrauch für illegale Aktivitäten minimiert. Insbesondere kann wirksam verhindert werden, dass Dritte Druck auf Flüchtlinge ausüben, dass diese einen Teil ihrer staatlichen Unterstützung zweckentfremden müssen (z. B. Finanzierung von Schlepperbanden, Versand in Ursprungsländer usw.).
• Förderung der Integration: Die Karte ermutige Asylbewerber, lokal einzukaufen, was ihre Integration in die Gemeinschaft fördert.
• Transparenz und Kontrolle: Der Geldfluss ist nachverfolgbar, was zu weniger Zweckentfremdung der Gelder führt.
• Reduzierung von Anreizen zur Migration: Das Bezahlkartensystem kann Anreize für unbegründete Asylanträge durch Wirtschaftsflüchtlinge verringern.
• Menschliche Perspektive: Die Karte biete eine sichere und würdevolle Art, eine Unterstützung sicherzustellen und gleichzeitig Missbräuche zu verhindern.
• Erhalt der Wertschöpfung: Durch eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der Karte könne sichergestellt werden, dass das Geld in der Schweiz verbleibt.
Der Grosse Rat entscheidet
Wie geht es weiter? Als nächstes entscheidet der Grosse Rat darüber, ob er die Motion annimmt oder ablehnt. Bei einer Annahme bekäme die Regierung einen verbindlichen Auftrag, so ein System auszuarbeiten. Falls sich im Grossen Rat keine Mehrheit für die Motion abzeichnen sollte, gäbe es für die SVP-Fraktion auch die Möglichkeit, sie in ein unverbindlicheres Postulat abzuschwächen. Sollte der Vorstoss überhaupt abgelehnt werden, wäre er erledigt.